Warum Visionen stressen
- Fabian Surrey
- 13. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Nov.

Wie du den Druck durch Zukunftsbilder erkennst – und im Spürraum wieder zu dir findest.
Ein Morgen an der Weser – und ein vertrauter Druck
Heute Morgen bin ich an der Weser entlanggelaufen. Herbstlicht über dem Wasser, kühle Luft in der Lunge. Neben mir unsere Hündin Zuma – schnuppernd, laufend, innehaltend.
In mir: ein leiser Druck. Zwei Wochen noch bis „Release Me“. Mein letzter Blogpost: anderthalb Monate her.
Und diese Idee: „Einmal im Monat schreibe ich, ziehe mich zurück …“
Dazu die Vision: Schreiben in der Natur. Stille. Bücher. Zeit. Kreativität.
Schön – und zugleich: subtil-spürbarer Druck.

Wenn schöne Zukunftsbilder uns festhalten
Ich war lange Fan von Visionsarbeit: Visionboards, klare Bilder von der Zukunft.
Visionen sind menschlich – und sinnvoll.
Beispiel: Wir wollen gesünder leben, schauen in den Kühlschrank – und merken: Da ist Luft nach oben. Das motiviert.
Wenn du keinen Plan für dein eigenes Leben hast, wirst du am Ende Teil des Plans eines anderen sein.
Terence McKenna
Doch Visionen können sich verselbstständigen. Manchmal übernehmen wir unbemerkt fremde „Karotten“ – oder halten an Ideen fest, die aus einem Moment der Flucht stammen.
Ein Beispiel aus meinem Leben: die Vision, „Lehrer-Coach im Internet“ zu sein. Klang modern, skalierbar.
Ich merkte: Ich brauche mehr Präsenz – und weniger Bildschirm.
Die Vision war nicht falsch – und schön gedacht, aber ich habe sie nie wirklich bewohnt.
Wenn solche inneren Bilder nicht aus dem eigenen Wesen kommen, können sie stressen – weil sie uns von der Gegenwart entfremden.
Wie Visionen stressen – und zur mentalen Realität werden
Wir erschaffen uns innere „Realitäten“:Der bessere Job. Der andere Körper. Das kreative Ich.
Doch wenn diese inneren Bilder zur Parallelwelt werden, in der wir ständig unterwegs sind, können Visionen stressen – statt uns inspirieren. Und wir leben im „Noch nicht“, statt im „Jetzt“.
Ich ertappe mich:
„Ich sollte bloggen.“
„Ich sollte Retreats machen.“
„Ich sollte kreativer sein.“
Das erzeugt Druck – nicht Lebendigkeit.
Der Spürraum – Gegenpol zur Selbstoptimierung
Ein Gegenpol ist der Spürraum – das innere Wahrnehmen jenseits von Rollen.
Ich arbeite damit in der Atemarbeit, Therapie und Supervision:
Mit dem Atem in den Körper kommen
Die tatsächliche Stimmung fühlen
Das Wesentliche berühren

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit
Victor Frankl
Früher stellte ich mir nach Begegnungen einen 5-Minuten-Timer zum Nachspüren. Kein „Gefühlsding“ – sondern bewusste Körperwahrnehmung.
Spüren ist kein Gefühl – sondern ein Zugang
Spüren bedeutet nicht nur „fühlen“, sondern integrieren.
Auch durch Atmosphäre, Intuition, Körpersignale.
Ein einfacher Zugang: bewusster Atem, ein stiller Spaziergang, ein ehrlicher Text.
Nach dem Spaziergang: Kein perfekter Schreib-Retreat – aber ein ehrlicher Moment. Ein Text entsteht.
Was Sadhguru und Viktor Frankl gemeinsam sagen
Sadhguru: Wir handeln entweder bewusst – oder zwanghaft. Zwanghaftigkeit führt zu Druck. Bewusstsein schafft Weite. Nicht die Vision stresst – sondern unsere Identifikation mit ihr.
Die Falle der Zwischenzeit – Warten auf das „Dann“
Vielleicht kennst du das: „Erst wenn ich dort bin, wird es sich gut anfühlen.“ Dann wird das Heute zur Wartezone – du verpasst dich selbst.
Vision würdigen – Gegenwart bewohnen
Was hilft:
Vision würdigen: Ja, ich will schreiben.
Gegenwart bewohnen: Heute reicht ein Text, ein Spaziergang, ein Moment.
Vielleicht sieht deine Version so aus:
Nicht der perfekte Job – aber ein ehrlicher Schritt
Nicht die perfekte Beziehung – aber ein ehrliches Gespräch
Nicht der perfekte Körper – aber ein bewusster Atemzug
Psychotherapie als Spiegel – wenn Selbstbilder wackeln
In der Psychotherapie geht es darum, fixe Bilder über uns zu hinterfragen.
Ganz nach Martin Buber: „Ohne Du kein Ich.“
Im echten Kontakt – mit einem präsenten Gegenüber – werden Selbstbilder brüchig. Das fühlt sich oft unangenehm an – und ist gleichzeitig die Voraussetzung für echte Wandlung.

Gerade dann zeigt sich, wie stark uns fixe Selbstbilder unter Druck setzen – und wie sehr Visionen stressen können, wenn sie nicht mehr lebendig, sondern starr geworden sind.
Doch genau dort beginnt Freiheit. Wenn starre Bilder zerfallen, entsteht mehr Raum für etwas Echtes: für ein Selbst, das atmet, fühlt, sich bewegt. Für Beziehungen, die nicht auf Rollen beruhen, sondern auf Begegnung. Für Visionen, die wieder Wärme tragen, statt Druck zu machen.
Im Licht dieses offenen Raums dürfen wir uns neu erleben – nicht als fertige Version, sondern als werdende. Und oft zeigt sich dann: Das Leben meint es gut, wenn wir aufhören, ihm eine Maske vorzuhalten.
Einladung: Release Me – gemeinsam den Raum für das Wirkliche bauen
„Release Me“ ist kein Hochglanzprodukt.
Es ist ein regelmäßiger Raum – mit Atem, Musik, Stille, Kontakt.
Ein Raum, in dem du sein darfst, wie du bist – ohne etwas darstellen zu müssen.
Hier wird keine neue Vision gebaut – sondern das Jetzt gespürt.
Zwischen Vision und Wirklichkeit – eine Einladung
Zwischen Vision und Wirklichkeit liegt kein Widerspruch –
sondern die Einladung, das Jetzt mitzunehmen.
Du brauchst nicht zu warten –
du kannst jetzt beginnen, mit dem, was da ist.
In diesem Sinn:
Herzliche Grüße – und vielleicht bis bald

FAQ‑Sektion
Was bedeutet „zwischen Vision und Wirklichkeit“ im Alltag?
Es geht darum, große Ideen nicht als Flucht zu nutzen, sondern sie mit dem Jetzt zu verbinden.
Warum erzeugt eine Vision manchmal Druck statt Motivation?
Weil wir glauben, erst „dort“ vollständig zu sein – und so das Jetzt abwerten.
Was ist der Spürraum und wie finde ich Zugang?
Ein innerer Raum jenseits von Rollen. Zugang durch Atem, Stille, Bewegung, ehrliche Worte.
Wie kann mir Psychotherapie in diesem Prozess helfen?
Sie hilft, festgefahrene Selbstbilder zu erkennen und im Kontakt mit dem Gegenüber neu zu erleben.
Wie kann mir Atemarbeit helfen, mit dem Druck umzugehen?
Sie bringt dich aus dem Kopf in den Körper, ins Spüren – löst Spannungen und öffnet Raum für Ruhe, Präsenz und neue Perspektiven.


